Warum schreiben wir?

von Dezember 8, 2019 Mai 30th, 2022 Kreatives Schreiben, Literatur

Warum verspüren wir den Wunsch zu schreiben?

Viele Autoren empfinden, wie ich selbst, ein Glücksgefühl beim Schreiben, das uns durch den Tag trägt. Kreatives Schreiben macht also glücklich? Diese Frage kann ich mit einem klaren „Ja“ beantworten. 

Sich durch das Schreiben einer Geschichte einer ganz eigenen Herausforderung stellen, kann eine Motivation zum Schreiben sein. Die Leser zu unterhalten, auch das ist ein Grund, warum ein Autor vielleicht einen Krimi oder einen Liebesroman schreibt. Einige Schreibende haben viel Zeit, weil sie in Rente gegangen sind und möchten nun etwas für sich tun. Sie möchten endlich die Geschichten erzählen, die sich im Laufe ihres Lebens angesammelt haben.

Was bedeutet Kreatives Schreiben?

Der Begriff Kreativität leitet sich vom lateinischen Verb ‚creare‘ ab. Das Verb bedeutet: etwas erschaffen, hervorbringen, erzeugen.

Kreatives Schreiben wird als schöpferisch-sprachlicher Prozess verstanden, zu dem jeder Mensch methodisch angeleitet werden kann. Der Ausdruck ‚Kreatives Schreiben‘ ist angelehnt an das amerikanische ‚creative writing‘. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden an amerikanischen Universitäten zum ersten Mal Seminare zu ‚creative writing‘ angeboten. Die Studenten der Literaturwissenschaft sollten dabei praktische Schreiberfahrungen sammeln.

Doch der kreative Umgang mit der Sprache geht sehr viel weiter in die Geschichte zurück. Kreative Schreibspiele gab es bereits in der Antike. Schriftsteller aller Zeiten haben Methoden und Techniken des kreativen Schreibens als Inspirationsquelle genutzt, um bei ihrer Arbeit produktiver zu sein. Auch als Mittel gegen Schreibblockaden haben sich kreative Schreibspiele stets bewährt.

Ist Schreiben eine Kunst? Das literarische Schreiben ist wie die Malerei, die Bildhauerei oder das Komponieren von Musik, eine kreative und damit eine künstlerische Tätigkeit.

Biografisches Schreiben

Wir möchten über uns selbst reflektieren und unsere Gefühle und Gedanken in Worten ausdrücken. Das ist vor allem beim Schreiben der eigenen Biografie eine wichtige Motivation. Wir möchten über uns und unsere Familiengeschichte schreiben, weil wir vielleicht so für unsere Kinder und Enkel wichtige Geschehnisse bewahren wollen. Ungewöhnliche Lebenswege erfreuen sich beim Leser großer Beliebtheit. Ich liebe es, Biografien berühmter Künstler zu lesen.

Darüber hinaus hat das Schreiben über die eigene Gefühlswelt eine therapeutische Wirkung. Ich vermute, dass ein gewisser therapeutischer Effekt bei allen Kunstformen vorhanden ist. Für den Künstler stellt die eigene kreative Arbeit auch den Versuch einer inneren Befreiung dar. Und das Einschlagen eines künstlerischen Lebensweges ist auch eine äußere Befreiung von fremdbestimmter Arbeit und  gesellschaftlichen Zwängen.
„Eine Künstlerin muss (…) frei sein, sonst kann sie sich nicht entwickeln.“ * Diese Worte schrieb 1897 die Malerin und Bildhauerin Clara Westhoff, die Ehefrau von Rainer Maria Rilke, in einem Brief an ihre Eltern.

*Zitat aus: Marina Sauer: Clara Rilke-Westhoff; Biografie. Ullstein Verlag. Frankfurt/Main; Berlin. 1996.

Genre-Literatur

Ob wir nun einen Krimi, Thriller, Science fiction, Fantasy oder einen romantischen Liebesroman wie Rosamunde Pilcher schreiben – wir bewegen uns mit diesen Geschichten  im Feld der sogenannten Genre-Literatur. Das bedeutet, dass es tradierte, vorgegebene Erzählstrukturen gibt, die sich in der Vergangenheit und in der Gegenwart am Buchmarkt bewährt, und Millionen Leser gefunden haben. Kurz gesagt: Ein Krimi ist nur dann ein Krimi, wenn ein Mord geschieht und mindestens eine Hauptfigur die Ermittlungen aufnimmt und am Ende der Geschichte eine Aufklärung des Falls stattfindet. Das ist die Grundstruktur und die Geschichte ist dabei beispielsweise in drei oder fünf Akte gegliedert. Die Handlung und das Lösen des Rätsels, also des Mordfalls, stehen eindeutig im Vordergrund der Geschichte. Warum? Weil die Leser genau das von der Genre-Literatur, in diesem Fall einem Krimi, erwarten. Diese Form der Literatur dient also der Erfüllung der Erwartungen der Leser und ist in erster Linie zu deren Unterhaltung geschrieben worden.

Literatur

In der Literatur nutzen wir unseren individuellen und einzigartigen Blick auf die Welt, um diese zu beschreiben und zu interpretieren. Die Loslösung von gängigen Erzählstrukturen und das Brechen von Regeln, wie sie in der Genre-Literatur vorherrschend sind, zeichnet Literatur als Literatur aus. Wir passen uns als Autoren von Literatur nicht der Erwartung der Leser an. Im Mittelpunkt des Schreibens steht nicht etwa die Handlung oder der Konflikt in einer Geschichte, sondern die Sprache selbst. Die Weiterentwicklung der Sprache ist das eigentliche Thema.

Lyrik

Besonders natürlich in der Lyrik sind der sprachliche Ausdruck und die Wortgewandtheit in ihrer ganzen Vielfalt zu finden. Dazu gehören auch das unkonventionelle Zusammensetzen von Worten und das Erfinden neuer Wortschöpfungen fernab der Alltagssprache. Lyrik hat viel mit Musik, Rhythmus und Melodie gemeinsam.  Im antiken Griechenland wurde die Dichtkunst in der Regel in musikalischer Begleitung der Lyra, einem Saiteninstrument, dem Publikum vorgetragen. In der griechischen Antike unterschied man zwischen  den Gattungen Lyrik, Epik und Dramatik. Diese Unterscheidung geht auf Aristoteles und sein Werk ‚Poetik‘ zurück.

Dramatik

Während die Epik die erzählende Dichtung darstellt, ist nach Aristoteles die Dramatik die handelnde Dichtung. Ein Theaterstück besteht hauptsächlich aus Dialogen der handelnden Haupt- und Nebenfiguren. Aristoteles unterscheidet weiterhin die Tragödie von der Komödie.

Viele ziehen lieber das Schreiben eines Romans vor. Woran mag das liegen? Ich glaube, dass uns in der Schule bei Schiller, Shakespeare und Co, die Lust an Theaterstücken und deren Interpretation komplett vergangen ist. Mein Eindruck ist, dass dem Theaterstücke schreiben heute ein eher verstaubtes Image anhängt. Drehbuch schreiben dagegen scheint hip zu sein. Dabei sind aus vielen hervorragenden Theaterstücken ebenfalls Filme entstanden, denken wir nur an Tennessee Williams und ‚Endstation Sehnsucht‘ oder ‚Die Katze auf dem heißen Blechdach‘.

Ich glaube, dass das Schreiben von Dramatik vielen Autorinnen und Autoren gar nicht erst in den Sinn kommt. Vielleicht besteht die große Scheu als Autor aus der Unsicherheit gegenüber der Historie, des Handwerks und der ungenauen Kenntnis von Theater-Strukturen. Auch wird ein Theaterstück erst bei der Aufführung mit Schauspielern lebendig. Man braucht dazu einen Regisseur, Schauspieler, Dramaturgen, Techniker, Bühnenbildner. Während bei einer Erzählung oder einem Roman ohne diesen enormen Aufwand schon bei den Lesern selbst im stillen Kämmerlein ein innerer Film abläuft. Wirkt ein Theaterstück also nicht so unmittelbar wie ein Roman? Ich stelle diese Frage mal zur Diskussion, liebe Leserinnen und Leser.

Birgit Nipkau